Empathie, Effizienz und Bereitschaft zur Veränderung – Kai Lins Inspiration für die KLIPPA-Fußprothese kommt von Bergziegen und dem Wunsch, Menschen zu helfen. Die Geschichte erzählt vom ungewöhnlichen Bündnis mit dem Arc'teryx-Athleten Craig DeMartino und der Entwicklung des heiligen Grals für amputierte Kletterer – eine brillante Fußprothese. KLIPPA übersteigt alles, was bis dahin dagewesen ist. Sie verleiht zwar keine Superkräfte, aber großes Vertrauen und wahre Stärke, was für Menschen wie Craig DeMartino fast das Gleiche ist.
Bei Arc’teryx arbeiten Designer, Perfektionisten, Macher und Outdoorfreaks. In den folgenden Geschichten wollen wir Menschen in den Mittelpunkt stellen, die sich schwierigen Problemen stellen und Chancen durch Design und Entwicklung schaffen.
Es ist an der Zeit, an mehr als an Produkte zu denken, anzupacken und die Welt zu inspirieren.
Design ist unser Weg in die Zukunft. Macht es zu eurem.
Die Kletterer Craig und Cyndy DeMartino leben am Fuß des Big Thompson Canyon von Colorado. An der Engstelle des Canyons ragen auf beiden Seiten steile, brüchige Granitwände empor. Kein Weg führt nach draußen. Würde man die Kletterschuhe anziehen und versuchen, diese Felsen hochzuklettern, wäre man in 5b oder 5c Gelände unterwegs. Schon oft haben die DeMartinos dort gestoppt, als eine Familie von Bergziegen trittsicher und geschickt über die steilen Felsvorsprünge nach unten klettert, um am Fluss zu trinken. Das Paar hielt an, setzte sich hin, beobachtete und staunte über die Trittsicherheit der Ziegen.
"Der menschliche Fuß macht jede Minute Tausende von kleinen Bewegungen, von denen wir nichts wissen", sagt Craig DeMartino, der erste amputierte Athlet, der an einem Tag die Nose im Yosemite Valley kletterte.
Wenn ein Körperteil mit dieser Komplexität und Raffinesse amputiert wird, kann man es nicht komplett durch ein künstliches Glied ersetzen. "Jemand sagte mir, ich solle mir eine Prothese als Hammer vorstellen", sagt Craig DeMartino über sein neues Bewusstsein, das er sich nach der Amputation seines rechten Unterschenkels aufgrund eines Kletterunfalls im Jahr 2002, erarbeiten musste.
"Ein Hammer ist ein Werkzeug, mit dem man eine bestimmte Sache ausführen kann. Genau das kann eine Prothese leisten – eine bestimmte Sache. Du musst das auswählen, was dir am wichtigsten ist, denn die Prothese wird nie das ersetzen können, was du von Natur aus hattest."
Der 54-jährige DeMartino besitzt eine kleinen Kollektion von Beinen. Eins zum Wandern. Eins zum Klettern. Keines ist perfekt. Aber er ist ein Meister darin geworden, sich anzupassen und mit dem zu arbeiten, was ihm zur Verfügung steht
Während Craig DeMartino sich an seine neue Realität gewöhnte, wuchs auf der anderen Seite der Erde ein zehnjähriger Junge mit sechs Millionen anderen Einwohnern in Fuzhou auf. Die chinesische Industriestadt war ein wichtiger Produktionsstandort für Nike, Adidas und Fila.
Kai Lin liebte es zu zeichnen. Er schloss sich in seinem Zimmer ein und tat so, als würde er seine Hausaufgaben machen. Seine geheime Leidenschaft wurde in der explodierenden Industriewirtschaft nicht anerkannt oder gar als Karrierechance angesehen. "Meine Familie wollte, dass ich fleißig bin. Zeichnen war meine Art, mich auszudrücken, ohne über Grenzen nachdenken zu müssen. Es war meine Art, der Realität zu entkommen."
Als er mit 15 Jahren mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten emigrierte, fielen diese Grenzen weg. Plötzlich könnte er ein Künstler sein. Erstmal musste er sich aber an das Leben in der amerikanischen Highschool in Queens anpassen.
"Als ich in China aufwuchs, war ich genau wie alle anderen", sagt Lin. "Einer von vielen. Ich dachte nicht allzu viel über andere Leute und Unterschiede nach. Als wir in die Staaten zogen, waren da auf einmal so viele verschiedene Menschen von den unterschiedlichsten Orten. Täglich gab es Probleme und kleine Kämpfe. Das anzuschauen und zu erleben hat mich einfühlsamer für andere Menschen gemacht."
Um sich an die neue Kultur anzupassen, hilft es Lin seine Mitmenschen sehr aufmerksam zu beobachten. Dieses genaue Hinsehen und Hineinversetzen hat er in den darauffolgenden Jahren immer mehr verinnerlicht. "Es ist fast schon eine Selbstverständlichkeit für mich, zu fragen: 'Was denkt diese Person?' oder 'Was braucht diese Person? Wie kann ich es besser machen?'"
Nachdem Lin an der Designschule am Pratt Institute eingeschrieben war, machte er eine kleine Kehrtwende. Anstatt sich auf sein bisheriges Hauptfach Illustration zu konzentrieren, fokussierte er sich auf Industriedesign. Kunst schien ihm zu selbstgefällig zu sein. "Ich wollte mehr als nur Zeichnen, um mich selbst auszudrücken. Ich wollte an Projekten arbeiten, die spezifische Probleme in der realen Welt lösen, um Menschen zu helfen."
In seinem dritten Studienjahr surfte er eines Tages auf YouTube. Da erregte ein Video von Bergziegen, die eine vertikale Wand besteigen, seine Aufmerksamkeit.
Wie können sie sich so elegant und sicher bewegen? Voller Faszination sah er sich das Video immer wieder an.
Warum können Menschen nicht diese Superkräfte haben? Stell dir nur vor, ein Körperteil nach deren Vorbild zu gestalten!"
Nachdem Craig DeMartino den über 30-Meter-Sturz überlebt hatte, der ihn das Leben hätte kosten können, musste er sich einer neuen Realität stellen. Eine verknöcherte Wirbelsäule, ein zertrümmerter Knöchel, ein nach links verdrehter Oberkörper und ein fehlender rechter Unterschenkel. Er musste sein ganzes Leben und seine Denkweisen neu ausrichten. Da DeMartino selbst kein Ingenieur war, war er auf Techniker und Designer angewiesen, die neue Prothesen entwickeln. Niemand investiert irgendwelche Ressourcen in die Verbesserung einer zum Klettern geeigneten Prothese. Es gibt einfach nicht genug Nachfrage.
"Früher hat mich das total frustriert. Irgendwann habe ich dann realisiert, was der eigentliche Markt ist. Meine Fußprothese hat sich im vergangenen Jahr ganze 52 Mal verkauft."
Die meisten Prothesen wurden für das Gehen und nicht zum Klettern entwickelt – der Fuß ist klobig und groß, mit einem Schwerpunkt, der für das Gehen optimiert ist. DeMartino hatte eine spezielle Kletterprothese, mit der er Routen bis 7b kletterte. Der Profisportler träumte aber vom Heiligen Gral für amputierte Kletterer. Von einem abnehmbaren, bombensicheren Kletterfuß, der es ihm ermöglichen würde, schwierige Risse zu klettern, ohne darin festzustecken.
Umso besser, wenn sie auch noch attraktiv ist.
"Mein bisheriger Kletterfuß ist für viele Anwendungen geeignet, sieht aber aus wie ein Kinderfuß, also leider etwas seltsam. Wenn du dir vorstellst, dass du etwas kannst, dann formt sich dieses Bild in deinem Kopf. Und mit diesem Bild im Kopf habe ich den ersten Schritt in meine neue Zukunft gemacht: ‚Ich kann das!‘ Wenn du daran glaubst, dann wird es Realität. Sobald du vom Boden abhebst, denkst du: ‚Wir werden das Ding hier reißen!‘ Es wäre ein Traum, wenn ich so eine wunderschöne Prothese hätte, dass die Leute mich nicht mitleidig ansähen, sondern vielleicht denken würden: ‚Gott, das ist verdammt toll. Ich hätte das auch gerne!‘ Das würde mir noch mehr Kraft und Mut geben.“
Dann lernt man jemanden wie Kai Lin kennen, der sagt: "Ich glaube, ich könnte dir helfen."
2014 war Lins Beinprothese KLIPPA (schwedisch für "Klippe"), die von Bergziegen inspiriert war, ein Finalist beim nationalen James Dyson Award. Im Internet fand man begeisterte Nachrichten über ihn: "Ein kluger junger Designstudent konzipiert eine von der Natur inspirierte Über-Technologie, die US-Veteranen helfen könnte, Traumata zu bewältigen!" Er wurde von einigen Filmemachern mit DeMartino bekannt gemacht, machte Schlagzeilen, führte Interviews, aber das Projekt stagnierte leider. Er brauchte Geld für den Bau eines funktionsfähigen Prototyps und er brauchte Mitarbeiter, um ihn zu testen. Nach der Uni war er voll in seinem Nebenjob als Industriedesigner eingebunden.
Dennoch ließ ihn das Feedback, das er von Kletterern mit Behinderung, Familienmitgliedern und Orthopädietechnikern erhielt, in jeder freien Minute an dem Design weiterbasteln. Er wusste, dass es das Leben einer kleinen Gruppe von Menschen entscheidend verändern könnte.
Die Entwicklung der Prothese brachte ihn sogar zum Klettern. Er verließ seine Komfortzone und ging an den Fels. "Ich glaube, es war gut, dass ich das Problem aus meinem persönlichen Blickwinkel betrachtete. So konnte ich ein Design schaffen, auf welches ein Profikletterer vielleicht nie gekommen wäre."
Die Unterstützung von Arc'teryx brachte das Projekt wieder zum Laufen. Auf der Suche nach inspirierenden Erfindern der Neuzeit stoß die Outdoormarke auf Lin und bot ihm an den hauseigenen 3D-Drucker zu nutzen. Zudem stellte sie den Kontakt zu DeMartino her, der das neue Design testen sollte.
Das ist der Teil, den Lin am Designprozess am meisten liebt - den Moment der Wahrheit, wenn die Hypothese auf die Probe gestellt wird. "Wird es funktionieren?"
Am Anfang der Entwicklung hatte Lin Alpträume von Menschen, die mit seiner Prothese kletterten und abstürzten. Das war das Gewicht der Verantwortung, die er auf seinen Schultern spürte.
Er sagte zu DeMartino: "Wenn du den Prototyp ausprobierst, kann es sein, das er abfällt oder zerbricht."
DeMartino beruhigte ihn: "Keine Angst. Selbst wenn die Prothese zu brennen anfängt, kann ich damit umgehen.“
Einen Monat bevor DeMartino nach Indian Creek fliegen sollte, um die Prototypen von Lin's KLIPPA-Prothese zu testen, nahm DeMartino einen anderen Prototyp nach Mexiko mit. "Ich dachte wirklich, es würde fantastisch werden, aber das Teil ist komplett auseinandergefallen. Es war total zerfetzt. Ich konnte mir vorher gar nicht vorstellen, wo und wie die Prothese brechen könnte. Das hat mir klar gemacht: Ich weiß nicht viel über Design.“
Um der Möglichkeit einer funktionierenden Kletterprothese und damit seinem Traum des Risskletterns näherzukommen musste DeMartino diese ungewöhnlich Begegnung mit Lin machen. Jemanden treffen, der aus seiner Komfortzone tritt, sich mit einer unbändigen Neugierde dem Problem stellt, die Ärmel hochkrempelt und sich nicht zuletzt auch seiner Angst stellt, dass Menschen abstürzen, weil er einen Fehler gemacht hat.
Er hatte nicht erwartet, jemanden wie Lin zu treffen, aber als Lin auftauchte, nahm DeMartino ihn bei der Hand. Zusammen könnten sie die Welt verändern. Zumindest einen kleinen Teil davon. Für eine Handvoll Menschen, die aus ihrem Trauma oder ihren Unvollkommenheiten herausklettern würden und ihre unerschütterliche Kraftquelle finden könnten. Oder sie könnten scheitern, dieses Mal. Aber zumindest würden sie mit einer Weiterentwicklung scheitern.
Lin muss lächeln, wenn er an den Zeitpunkt vor fünf Jahren zurückdenkt, als er das Projekt startete. Die Verbindung zwischen Bergziegen, Prothesen und amputierten Kletterern kam aus dem Nichts. "Ich wusste nicht, dass aus dieser kleinen Idee und den darauffolgenden Entwicklungsjahren am Ende, so eine wahnsinnige Chance für diese Menschen entstehen würde. Ich wünschte, ich könnte in meiner Freizeit mehr Freiwilligenarbeit leisten. Ich denke aber, dass ich helfen kann, indem ich spezifische Dinge entwerfe, die das Leben von Menschen besser machen. Darin bin ich gut. Wahrscheinlich ist es eben genau das, was ich tun kann.“
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